Nudeln im Nanomaßstab: Chemiker haben die dünnsten je erzeugten Nudeln hergestellt. Diese Nano-Spaghetti bestehen aus ganz normalem Weizenmehl, sind aber nur 372 Nanometer dick – rund 200-mal dünner als ein menschliches Haar. Theoretisch wären die mikroskopisch feinen Nudeln sogar essbar, gedacht sind sie aber als Fasern für die Biomedizin und Technik, wie das Team erklärt. Produziert haben sie die Nano-Nudeln mithilfe von Weizenmehl, warmer Ameisensäure und einer „Nudelmaschine“ der Nanotechnologie.
Ob Brot, Nudeln oder Pommes Frites: All diese Lebensmittel haben pflanzliche Stärke als eine ihrer Hauptkomponenten. Dieses Kohlehydrat aus verketteten Zuckermolekülen ist eines der häufigsten Polymere in der Natur und macht viele Gemüse und Getreide so nahrhaft und stabil. Bei Nudeln ist es die Stärke aus dem Weizenmehl, die Spaghetti und Co in Form hält und sie gleichzeitig beim Kochen aufquellen lässt.
Doch auch abseits der Küche ist Stärke begehrt: Die teils verzweigten , teils unverzweigten Zuckerketten machen die Stärke sehr fest, aber gleichzeitig auch flexibel und formbar. Zudem sind Fasern und Gewebe aus Stärkefasern biologisch verträglich und leicht abbaubar – anders als beispielsweise Kunststoff-Polymere. „Stärke ist auch reichlich vorhanden und nachwachsend – sie ist nach Zellulose die zweitgrößte Biomassequelle auf der Erde“, erklärt Seniorautor Adam Clancy vom University College London.
Nanofäden aus ganz normalem Mehl
Das Problem jedoch: Um feine Stärkefasern für Technik, Medizin und Nanotechnologie herzustellen, muss das Pflanzenmaterial zunächst aufwendig gereinigt und die Stärke extrahiert werden – so glaubte man bisher jedenfalls. „Aber wir haben nun gezeigt, dass es einfacher geht“, sagt Clancy. Denn wie er und sein Team demonstrieren, kann man solche Nanofasern auch direkt aus Weizenmehl herstellen – ohne vorherige Stärke-Extraktion.
Das neu entwickelte Verfahren ähnelt dabei verblüffend der Nudelherstellung: „Um Spaghetti herzustellen, drückt man eine Mischung aus Weizenmehl und Wasser durch feine Metalllöcher“, erklärt Clancy. „In unserem Experiment haben wir das Gleiche gemacht, nur dass wir unsere Weizenmehlmischung mithilfe von elektrischer Ladung durch die Löcher gezogen haben. Die resultierenden Fasern sind tatsächlich echte Spaghetti, nur viel dünner.“
Man nehme…
Wie beim Nudelmachen bildet Weizenmehl auch bei den Nano-Spaghetti die Grundzutat. „Weizen besteht typischerweise aus rund 80 Prozent Stärke, 15 Prozent Proteinen, vier Prozent Zuckern und einem Prozent Fetten“, erklären die Chemiker. Um nun daraus einen Nudelteig zu machen, mischen sie das Mehl nicht mit Wasser, sondern mit 32 Grad warmer Ameisensäure (CH2O2). Das klingt wenig appetitlich, dient aber dazu, die zu Körnchen zusammengeklumpte Stärke zu entknäulen.
Nach einer Zeit des Wartens entsteht aus dieser Mischung eine zähflüssige Masse aus 17 Gewichtsprozent Weizen und Ameisensäure. Die Masse wird nun abgekühlt und in die Nanotechnologie-Version einer Nudelmaschine gegeben – einen Elektrospinner. Dieser erzeugt ein elektrisches Feld zwischen dem Behälter mit der „Nudelmasse“ und einer außen liegend Elektrode, beispielsweise einer Metallunterlage. Das Feld zieht nun die Weizenmischung durch feine Düsen und erzeugt so Fasern im Nanomaßstab.
„Unseres Wissens nach wurde bisher noch nie ein Elektrospinning mit Mehl durchgeführt“, erklären Clancy und sein Team. Denn wegen der heterogenen Zusammensetzung des Mehls ist es schwieriger, dieses spinnfähig zu machen als bei reiner Stärke.“
Nano-Spaghetti wären sogar essbar
Doch es gelang: Aus dem Elektrospinner kamen feine Weizenmehlfasern, die im Schnitt nur 372 Nanometer dick waren. Diese „Nano-Spaghetti sind damit rund 200-mal dünner als ein menschliches Haar und rund tausendmal dünner als die dünnsten je per Hand hergestellten Nudeln. Bei letzteren handelt es sich um die sogenannten „Su Filindeu“ – Fäden Gottes –, die von Pasta-Machern in Nuoro auf Sardinien hergestellt werden.
Trotz ihrer ungewöhnlichen Herstellungsweise wäre aber auch die Nano-Spaghetti von Clancy und seinem Team theoretisch essbar. Denn die Ameisensäure verdunstet während des Elektrospinnings, so dass wie bei normalen Nudeln nur die trockene, fest verklebte Weizenmasse übrigbleibt. „Ich denke allerdings, dass die Nanofasern sich nicht gut als Pasta eignen, denn sie würden in weniger als einer Sekunde völlig zerkochen“, sagt Clancys Kollege Gareth Williams.
Nützlich für Biomedizin und Co
Umso nützlicher könnten die Nano-Spaghetti dafür in anderen Anwendungen sein: „Nanofasern aus Stärke zeigen wegen ihrer Porosität beispielsweise großes Potenzial für Wundverbände“, erklärt Williams. „Sie könnten aber auch als Gerüste für die Gewebezucht im Labor genutzt werden, denn ihr Netzwerk aus Zuckern, Proteinen und anderen Molekülen ähnelt der Matrix, die auch Zellen zu ihrer Stabilisierung erzeugen.“
Die Chemiker haben zudem aus ihren Nanonudeln feine Netze hergestellt, die beispielsweise als bioverträgliche Nanofilter oder Wundverbände zum Einsatz kommen könnten. „Die Matten bieten ideale Voraussetzungen, um herkömmliche Stärkefasern als grünere, günstigere Alternative zu ersetzen“, konstatieren Clancy und sein Team. Als nächste Schritt wollen sie nun die Eigenschaften ihrer Nano-Spaghetti noch genauer untersuchen und auch testen, wie gut diese beispielsweise für Zellen verträglich sind. (Nanoscale Advances, 2024; doi: 10.1039/D4NA00601A)
Quelle: University College London